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Gendersprache in der Praxis

Schreibst du noch oder genderst du schon? Uiiiih, ich weiss, heute setze ich mich in die Nesseln. Ich beschäftige mich geschlechtergerechten Sprache. Und starte gleich vorneweg mit einem Geständnis: Ich bin kein Experte dafür, davon gibt es schon so viele. Deshalb äussere ich mich hier auch nicht zum Gendersternchen und Gendergap – ihr ahnt, warum.

Die Frage der weiblichen und männlichen Schreibweise beschäftigt mich schon länger. Denn zum einen sind Texte und der Umgang mit Sprache mein tägliches Brot. Und zum andern werde ich immer wieder gefragt – vorab auch von Frauen – wie ich das denn selber handhabe – nach drei Jahrzehnten Erfahrung als Redaktor und Journalist.

Ich definiere hier keine allgemeingültigen Regeln. Und ich kann auch damit leben, wenn jemand das Thema ganz anders betrachtet. Ich zeige einfach, wie ich damit in der täglichen Arbeit umgehe.

Ich verwende oft (aber nicht sklavisch) beide Formen (Schülerinnen und Schüler). Vielleicht nicht im ganzen Text, aber sicher immer wieder. Wenn es ermüdend wirkt oder auch künstlich, dann schalte ich einen Gang zurück.

Dann gibt es Pluralformen, die beide Geschlechter umfassen, Beispiel die Angestellten (Plural für der Angestellte, die Angestellte).

Gut praktikabel finde ich Mischformen, die signalisieren, dass jeweils beide Geschlechter gemeint sind: Also Expertinnen, Forscher und Naturfreundinnen. Hier wäre eine Doppelaufzählung in meinen Augen unsinnig (also Expertinnen und Experten, Forscherinnen und Forscher, Naturfreundinnen und Naturfreunde).

Ein Ausweichen auf neutrale Formen wie Studierende, Dozierende, Lehrpersonen finde ich meist sprachlich sehr unschön, weniger sinnlich, weniger menschlich.

Ich benütze keine Formen wie Journalist/innen, Expert/-in oder Kund*innen. Die Grundregel dabei ist: Was sich beim mündlichen Vorlesen klar und zweifelsfrei decodieren lässt, funktioniert, alles andere nicht. Es wirkt einfach nicht natürlich, wenn die Sprechenden im Wort eine symbolische Pause einlegen.

Es geht um mehr als Sprache

Ganz wichtig in der Diskussion. Mir geht es ja nicht nur um symbolische Sprache, sondern um echte Veränderungen: Ich achte also sehr, dass in meinen Texten immer auch Expertinnen zu Wort kommen. Und wenn ich als Redaktor Aufträge verteilen darf, suche ich eine ausgewogene Mischung zwischen Autoren und Autorinnen, das ist mir fast am wichtigsten. Wenn ich Frauen Hauptrollen überlasse, bzw. sie zum Teil ganz bewusst dafür aussuche, kann ich wichtige Signale setzen.

Das geht für mich bis zur redaktionellen Auswahl, über wen wir schreiben oder wen wir im Bild bringen. Stets zeige ich, dass Frauen aktiv unsere Welt gestalten, mitentscheiden und prägen. Im Zweifelsfall porträtieren wir gerne auch die Frau (meist fühle ich mich von Frauen zum Beispiel in der Politik besser vertreten als durch Männer – aber das ist eine andere Geschichte).

Was übrigens aus meiner Sicht gar nicht geht, ist die Marotte, in Gesetzestexten, Studien und dergleichen zuvorderst in einem kleinen Hinweis oder in der Fusszeile zu erwähnen, dass auch bei männlichen Schreibweisen weibliche Personen mitgemeint seien. Dazu noch eine Randnotiz: Das österreichische Bundesland Tirol hat den Spiess umgedreht, und im Kinder- und Jugendhilfegesetz durchgehend die weibliche Form benützt. Das finde ich stark.